Was ist eigentlich Preventive Maintenance?
- Von Björn Piepenburg
- Ausfall, Intervalle, Prävention, Preventive Maintenance, Prognosequalität, Wartung
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Im Zusammenhang mit der Optimierung von Wartungsplänen liest man häufig den Ausdruck „Preventive Maintenance“. Dieser Beitrag erklärt, was sich dahinter verbirgt und wie man ein Preventive Maintenance auf Basis von historischen Ausfalldaten realisiert.
Ein sehr bekanntes und altes Beispiel für Preventive Maintenance ist der Keilriemen im Auto, welcher die Rotation der Kurbelwelle des Motors auf verschiedene Nebenaggregate überträgt. Besonders wichtig ist die Versorgung der Lichtmaschine, welche viele elektrischen Komponenten des Autos mit Strom versorgt, aber auch die Versorgung der Hydraulikpumpe, der Wasserpumpe, der Servolenkung, der Lüftung und der Klimaanlage.
Zurück zum Preventive Maintenance: Erfahrungen haben gezeigt, dass ein Keilriemen durchschnittlich etwa 100.000 Kilometer hält. Die Laufzeit ist allerdings abhängig von unterschiedlichen Einflüssen, wie z.B. der Leistung des Motors, dem Alter des Keilriemens und der Anzahl von Start/Stopp-Vorgängen. Ohne diese Einflüsse genau zu kennen, beaufschlagt man die durchschnittliche Lebensdauer des Keilriemens mit einem Sicherheitsfaktor. Der Sicherheitsfaktor muss ebenfalls berücksichtigen, dass ein gerissener Keilriemen zu einem erheblichen Motorschaden führen kann. Wir setzen beispielsweise den Sicherheitsfaktor auf γ=0,8 und tauschen den Keilriemen etwa alle γ⋅100.000=80.000 Kilometer aus und nutzen dafür die vom Hersteller empfohlenen Inspektionstermine. Natürlich können einzelne Keilriemen auch 120.000 oder 150.000 Kilometer halten aber mit dem vorausschauenden Austausch bzw. mit der vorbeugenden Wartung (engl.: Preventive Maintenance) minimiert man das Risiko eines Motorschadens, ohne es ganz auszuschließen. Bei der Festlegung des Sicherheitsfaktors muss auf der einen Seite der potentielle Motorschaden berücksichtigt werden; auf der anderen Seite der Aufwand bzw. die Werkstattkosten für den Austausch des Keilriemens.
Das Beispiel lässt sich auf alle mechanischen (und elektronischen) Geräten übertragen. Typischerweise kennt man erwarteten Lastzyklen von Kugellager, die durchschnittliche Brenndauer von Glühlampen oder die Lebensdauer von Dichtringen. Diese Komponenten werden verbaut in Zügen, in Flugzeugen, in Generatoren, in Robotern, in Aufzügen, in Kraftwerken, in Fahrrädern usw. und das in jedem Land der Welt. Diese vielen Millionen Komponenten machen ein effektives Preventive Maintenance wichtig, um Beschädigungen und Ausfälle der Anlagen zu vermeiden.
Wie funktioniert nun Preventive Maintenance? Das Beispiel des Keilriemens hat das eigentlich schon ganz gut gezeigt: man braucht historische Ausfalldaten für den betrachteten Anlagentyp bzw., wie im Beispiel des Keilriemens, historische Ausfalldaten des betrachteten Bauteils. Möchte man die Berechnung für eine neuartige Anlage durchführen, kann man Erkenntnisse aus den verbauten Komponenten aggregieren bzw. die Anlage in unterschiedlichen praxisnahen Versuchen im Labor zu testen.
Wie beim Keilriemen existieren in der Praxis mehrere Zeitdimensionen, welche die Ausfallintervalle der Anlage beschreiben. Nehmen wir als Beispiel ein Auto, welches nur selten gefahren wird. In diesem Fall wird der Keilriemen irgendwann porös und hält ggf. nur 50.000 Kilometer oder weniger. In einem anderen Beispiel wird das Auto täglich mehrfach bewegt (z.B. bei einem Zustellfahrzeug der Post), wodurch der Keilriemen ebenfalls nach 50.000 Kilometer reißen kann. Man unterscheidet eine mittlere Fahrzeit zwischen zwei Wechseln (Mean Time Between Removal, MTBR), eine mittlere Zeitdauer zwischen zwei Wechseln (Mean Duration Between Removal, MDBR) und eine mittlere Anzahl an Start/Stopp-Vorgängen zwischen zwei Wechseln (Mean Cycles Between Removal, MCBR). Abhängig von der Anwendung sind weitere Zeitdimensionen denkbar. Ein spezifisches Ausfallintervall ergibt sich als Linearkombination der einzelnen Zeitdimensionen, deren Koeffizienten sich aus einem Optimierungsalgorithmus ergeben. Typischerweise nutzen wir für diese Aufgabe eine Meta-Heuristik wie das Simulated Annealing, welches in endlicher Zeit in einem guten (lokalen) Optimum konvergieren.
Im nächsten Schritt muss festgelegt werden, welche Situationen einen Einfluss auf den Ausfall der Anlage / der Komponente haben können. Dazu empfiehlt es sich, Experten aus der Entwicklung und der Produktion sowie ggf. auch Anwender zu befragen. Liegen zu viele Einflüsse vor, lassen sich diese durch statistische Verfahren zum Feature Selection reduzieren. Alternativ kann der Informationsgehalt der Einflüsse durch eine Hauptkomponenten- oder eine Faktorenanalyse verdichtet werden. Beim Keilriemen sind das typischerweise die durchschnittliche Geschwindigkeit des Riemens, die Qualität des Materials, die Umgebungstemperaturen (vielleicht hält ein Keilriemen in Norwegen länger als in Saudi-Arabien? oder kürzer?) und weitere.
Aus den Einflussgrößen muss nun ein Regelwerk abgeleitet werden, um ein spezifisches Ausfallverhalten vorhersagen zu können. Dazu verwendet man üblicherweise statistische Entscheidungsbäume bzw. das Machine-Learning-Verfahren Random Forest. Beide Verfahren bringen die Einflüsse in Abhängigkeit ihres Informationsgehaltes in eine absteigende Reihenfolge und trennen in jeder Baumebene die Ausprägungen wie in der folgenden Abbildung schematisch dargestellt ist. Um eine maximale Flexibilität bei der Berücksichtigung und Kombination aller Einflüsse und Zeitdimensionen zu erreichen, haben wir für unsere Kunden auch individuelle Algorithmen zur Aufspannung der Bäume implementiert.
Abbildung 2: schematische Darstellung eines Entscheidungsbaumes zur Umsetzung eines Preventice Maintenance für Keilriemen
In jedem Knoten des Baumes stehen mittlere Zeiten (für drei Zeitdimensionen) aus allen historischen Ausfällen, welche die Kriterien des betrachteten Astes erfüllen. Der dargestellte Baum wurde nicht vollständig ausgebildet (man spricht von Prunning), weil beispielsweise nur wenige Daten von Hersteller 5 vorlagen. Der Unterschied zwischen den tatsächlichen Abständen zwischen zwei Wechseln und den berechneten Zeiten im entsprechenden Knoten des Baumes bestimmen die Qualität des Baumes.
Aus dem Baum kann man nun für eine spezifische Einsatzsituation des Bauteils bzw. der Komponente eine typische Lebensdauer ablesen. Wie oben beschrieben, empfiehlt es sich, die Zeiten mit einem Sicherheitsfaktor zu beaufschlagen, welcher die Kosten für einen Ausfall und die Kosten für einen Austausch berücksichtigen sollte. Ebenfalls sollten dem Prognosemodell aktuelle Ausfall- bzw. Austauschinformationen präsentiert werden, um veränderte Umgebungsbedingungen bei der Prognose berücksichtigen zu können.
Zur Erhöhung der Prognosequalität können entweder weitere statistische Merkmale berücksichtigt werden oder mit Hilfe von Sensoren Daten vom spezifischen Keilriemen (dem spezifischen Serial) erfasst werden. Beispielsweise könnte man mit einem akustischen Sensor die Laufruhe des Keilriemens messen. Werden Sensoren zur Messung der aktuellen Beschaffenheit des Bauteils eingesetzt, so spricht man von „Predictive Maintenance“. Wie Predictive Maintenance funktioniert soll in einem unserer nächsten Blogbeiträge erklärt werden.